CSD-Pressekonferenz: Ein queerer Aktionsplan für Bayern!

Erstmals haben sich im Freistaat 20 CSDs zusammengeschlossen, um unter einem gemeinsamen Motto Druck auf die Politik zu machen. In München macht der wachsende Pride das Anliegen sichtbarer denn je.

Diskriminierung und Gewalt gegenüber LGBTIQ* sind im Freistaat Alltag. Ein Aktionsplan, glauben Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen, könnte Abhilfe schaffen. Dafür gehen sie am 24. Juni in München auf die Straße. Die PolitParade und die PrideWeeks davor werden größer als zuvor.

München, 24. Juni 2023 – Mit dem IDAHOBIT am 17. Mai hatten sie die Saison eingeläutet. Um die 500 Menschen protestierten zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit vor dem bayerischen Landtag lautstark und kreativ für einen, so das Motto des diesjährigen CSD, »Queeren Aktionsplan Bayern jetzt!«. Er soll im Freistaat die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen bringen, Diskriminierung und Gewalt beenden.

DIGITALE PRESSEMAPPE

Seit dem 10. Juni, mit Beginn der beiden PrideWeeks, verleiht die Münchner Community der Forderung nach einem queeren Aktionsplan weiter Nachdruck. Um nun am 24. Juni bei der PolitParade dafür zu protestieren. Zu diesem Zweck hatten sich der Münchner und 19 weitere CSDs aus Bayern schon Anfang des Jahres zusammengetan: Vor der Landtagswahl am 8. Oktober wollten sie gemeinsam sichtbar ihre Position vertreten.

Seit Wochen versuchen die Organisator*innen nun schon, auf das Thema aufmerksam zu machen. Allein: So ein Aktionsplan ist komplex. Zuletzt hatte die weitaus griffigere Diskussion um eine Drag-Lesung in München die Öffentlichkeit von den Inhalten abgelenkt.

 

Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTIQ* sind Fakt

Dabei scheint ein queerer Aktionsplan dringend geboten. Wie die LGBTIQ*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt Strong! für Bayern dokumentiert, steigt die Zahl der Delikte gegen die Community im ganzen Land an. Die Einrichtung erfasste 2022 insgesamt 159 Vorfälle, darunter Beleidigungen, tätliche Angriffe, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen und Stalking.

Strong! dokumentiert seit 2020 systematisch und bayernweit Übergriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und inter* Menschen. 165 Fälle registrierte Strong! 2021, im Jahr 2020 waren es 101. Die Dunkelziffer aber dürfte noch viel höher liegen, denn viele Opfer erstatten aus Scham keine Anzeige. MEHR

„Ich bin es leid, dass wir in Bayern bei solchen Themen immer das Schlusslicht sind“, sagt Katrin Habenschaden, Münchens Zweite Bürgermeisterin. „Einmal im Jahr Regenbogenfähnchen zu schwingen reicht nicht; das hat mit echter Queer-Politik nichts zu tun. Vielerorts auf der Welt werden die Rechte von queeren Menschen eingeschränkt, auch bei uns steht die bunte Gesellschaft unter Druck. Es ist deshalb besonders wichtig, dass die Staatsregierung ein Zeichen der Vielfalt und Akzeptanz setzt durch einen queeren Aktionsplan. Unter dem Münchner Regenbogen ist für alle Menschen Platz, das sollte für ganz Bayern gelten.“

 

Die Forderungen: Daten erfassen, Polizei sensibilisieren, Lehrpläne überarbeiten

Eine Petition für den Aktionsplan läuft schon seit vergangenem Jahr. Das Münchner schwul-queere Zentrum Sub, Mitveranstalter des CSD, hatte zum IDAHOBIT 2022 erste Forderungen gestellt. Die Landesregierung sollte so unter anderem dazu gebracht werden, endlich queer-spezifische Gewalt- und Diskriminierungszahlen zu erfassen, die Polizei für die Belange queerer Menschen zu sensibilisieren, die lückenhafte Beratungsinfrastruktur gerade auf dem Land auszubauen, Lehrpläne zu überarbeiten, Unterkünfte speziell für LGBTIQ*-Geflüchtete in allen Regierungsbezirken zu schaffen etc. MEHR

Wie wichtig gerade die Themen Migration und Asyl sind, zeigt Uganda. Ende Mai 2023 trat in dem Land das wohl weltweit schärfste Anti-LGBTIQ*-Gesetz in Kraft. Queere Menschen können zu lebenslanger Haft, sogar zum Tode verurteilt werden; auch die Verfolgung HIV-positiver Menschen wird legislativ festgeschrieben. Menschen, die sich für queere Rechte einsetzen, können bis zu 20 Jahre ins Gefängnis kommen. Wer kann, flieht da natürlich.

„Wir können den Hilfsgesuchen kaum mehr nachkommen“, sagt Julia Bomsdorf, Person für Öffentlichkeitsarbeit der Lesbenberatung LeTRa, die über ihren Träger LesCommunity den CSD mit veranstaltet. „Im August 2022 hatten wir 150 Klientinnen in der Geflüchtetenberatung, im Juni 2023 sind wir bereits bei 300.“ Geschützte Unterkünfte für die meist schwer traumatisierten Menschen sowie der Schutz vor Abschiebung seien deshalb essenziell. „Doch an beidem mangelt es in Bayern weiterhin.“

Immerhin scheint ein Aktionsplan inzwischen wahrscheinlicher. In einem Podcast hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor Kurzem erwähnt, es brauche einen solchen jetzt auch im Freistaat. Kürzlich hat nun Sozialministerin Ulrike Scharf die Verantwortung dafür übernommen. Dabei hatte die bayerische Staatsregierung dieses Anliegen der Community jahrelang ignoriert.

 

Die Community ist zur Kooperation bereit

Vertreter*innen bayerischer LGBTIQ*-Organisationen sehen darin nun eine Chance, die Inhalte des queeren Aktionsplans gemeinsam mit der Staatsregierung zu erarbeiten. Dr. Kai Kundrath zum Beispiel, Geschäftsführer des Sub, sagt: „Wir freuen uns, dass Herr Söder mit seiner Regierung endlich einen queeren Aktionsplan umsetzen möchte. Aber die Ankündigung ist das eine; nun müssen Taten folgen.“

Die Community sollte dabei unbedingt eingebunden werden, betont Bomsdorf. „In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass Staatsregierung und Sozialministerium Wissen und Sensibilisierung zu queeren Lebensweisen fehlen.“

 

Alle können sich am Aktionsplan beteiligen

Die CSDs in Bayern werden in Kürze eine Online-Plattform aufsetzen, über die sich alle mit Vorschlägen einbringen können, was ihrer Meinung nach in so einen queeren Aktionsplan gehört. Am 8./9. September lädt der LSVD Bayern parallel zu einer Fachkonferenz, in der queere Organisationen und Fachverbände die Maßnahmen erarbeiten werden, die dann an die Staatsregierung gehen.

„Bayern braucht einen queerpolitischen Kompass, der strategische Maßnahmen bündelt, politische Entscheidungen kontrolliert und Erfolge messbar macht“, sagt Markus Apel, Vorstand des LSVD Bayern. „Regenbogenmasken, Kleinförderungen und Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, um Queer-Feindlichkeit im Freistaat umfassend zu bekämpfen.“

Es sind diese Forderungen, auf die der Münchner CSD seit zwei Wochen aufmerksam macht. Am 10. Juni begannen die beiden PrideWeeks, die jetzt mit der großen PolitParade und dem zweitägigen Straßenfest am 24./25. Juni ihren Höhepunkt finden.

 

Der Christopher Street Day wächst

Alles wird ein bisschen bunter und größer als früher: Um den wachsenden Pride – 400.000 Teilnehmer*innen waren es 2022 - weiterhin in der Innenstadt abhalten zu können, hatten die Organisator*innen das Event eigens vom zweiten Juli- auf das vierte Juni-Wochenende vorverlegt. Dann nämlich findet im Zentrum keine weitere Veranstaltung statt wie sonst zum Beispiel "Klassik am Odeonsplatz".

"Wir wollten für den CSD perspektivisch Platz schaffen", sagt Alexander Kluge, Geschäftsführer des Münchner CSD. Das habe den Charme, dass der Pride näher an das historische Datum des Stonewall-Aufstands heranrückt, der den Beginn der modernen LGBTIQ*-Bewegung markiert. Am 28. Juni 1969 wehrten sich vor der gleichnamigen Bar in New York People of Colour, trans* Leute, Lesben und Schwule erstmals gegen die Polizei, die oft willkürlich gegen Menschen der queeren Community vorging.

Auch die PrideWeeks fanden bereits mehr Zuspruch als im vergangenen Jahr: Über 100 Veranstaltungen wurden angemeldet. Vom 10. bis 25. Juni lud die Münchner Community zu einem vielfältigen Programm aus Talks, Partys, Gottesdiensten, Workshops, Lesungen, Führungen etc. Und, ja, auch die viel diskutierte Drag-Lesung von Vicky Voyage und Eric BigClit war darunter. Viele Veranstaltungen beschäftigten sich mit dem Aktionsplan und seinen Themenfeldern. MEHR

 

Solidarität mit der Ukraine

Die PolitParade am 24. Juni bekommt eine neue, längere Strecke, was nur zum Teil an den Bauarbeiten beim Sendlinger Tor liegt. Mit 181 registrierten Formationen erwarten die Veranstalter*innen – sollte das Wetter mitmachen – die größte Demo aller Zeiten. MEHR

Ihre Solidarität mit den queeren Kriegsopfern in Münchens Partnerstadt Kyjiw wird der CSD bei der Gelegenheit auch in diesem Jahr wieder zeigen: Gäste und Geflüchtete aus der Ukraine laufen vorne im Veranstalter*innen-Block mit. Außerdem gibt es einige Events zur Ukraine. Im Übrigen hat München inzwischen eine neue Partnerstadt, mit der die queere Community eine besondere Partnerschaft aufbauen will: Be’er Sheva. MEHR

Die PolitParade kann übrigens auf YouTube und www.csdmuenchen.de wie das Straßenfest und die Bühnen-Acts wieder im LiveStream verfolgt werden. Das Team vor und hinter der Kamera ist ebenfalls deutlich gewachsen. MEHR

Die Party Area findet am 24/25. Juni am Odeonsplatz eine neue Heimat: Der Platz ist größer, weniger eng als früher der Rindermarkt. Überhaupt gibt es mehr Gelegenheit zum Feiern: In der Sendlinger Straße steht eine Musikinsel; das Münchner Stadtmuseum lädt im Innenhof zum Lip-Sync Battle. Und das RathausClubbing feiert sein 20-jähriges Jubiläum auf gleich sechs Dance Floors, verteilt auf vier Ebenen, indoor und outdoor, mit Nachtbiergarten! MEHR

Mit der neuen Party Area entsteht in der Wein- und Theatinerstraße eine Verbindung zur Hauptbühne am Marienplatz. Auch dort stehen jetzt Infostände, die es bislang traditionell nur in der Kaufinger- und Weinstraße gab. Für das Straßenfest haben sich mehr Gruppierungen mit Infoständen angemeldet als im Vorjahr, insgesamt 78 Stück. MEHR

Regenbogenfamilien treffen sich wie gehabt an ihrer Area auf dem Frauenplatz vor dem Dom. MEHR

 

Awareness-Team: Sicher feiern für alle!

Damit sich alle Besucher*innen des CSD gut aufgehoben fühlen, hat der CSD erstmals ein Team aufgestellt, das sich um Awareness und Barrierefreiheit kümmert. „Verletzendes Verhalten wie sexistische, rassistische, homo-, trans- oder interfeindliche, ableistische und vergleichbare Übergriffe werden wir beim CSD nicht akzeptieren“, sagt Team-Member Viola Werenbach. Per Textnachricht oder Anruf sind sie für alle da, die in Konfliktsituationen Hilfe brauchen.

Und schließlich spielt der queere Aktionsplan auch in den Programmen der Hauptbühne am Marienplatz sowie der Community-Bühne in der Kaufingerstraße am 24/25. Juni eine zentrale Rolle. An beiden Orten wird es immer wieder Redebeiträge und Diskussionen zum Thema geben, so von Vertreter*innen der Community, deren Organisationen und von Politiker*innen aus dem Landtag. MEHR

 

Conchita Wurst kommt!

Vor allem aber erwarten das Publikum dort Musik, Drag Shows und das berühmte PumpsRace. Das Angebot war nie bunter. Zum ersten Mal gehen 2023 zwei Haupt-Acts an den Start: Am Samstagabend tritt der ukrainische Pop-Star Melovin aus Kyjiw am Marienplatz auf, am Sonntagabend kommt Conchita Wurst. MEHR

„Wir freuen uns auf einen sichtbar politischen, großen, vielfältigen und freudvollen CSD“, sagt CSD-Geschäftsführer Alexander Kluge. „Es ist gut, dass wir als Community vereint für unsere Anliegen einstehen und miteinander feiern, was wir sind. In diesem Jahr sogar über die Stadtgrenzen Münchens hinaus, mit den CSDs in Bayern, Kyjiw und Be’er Sheva zusammen. Das macht mich stolz.“

Seit mehr als 40 Jahren demonstrieren LGBTIQ* in München für gleiche Rechte und Akzeptanz. Bei der größten Veranstaltung der Community im süddeutschen Raum, die getragen wird vom lesbisch-queeren Verband LesCommunity, dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum Sub, der Münchner Aids-Hilfe, der Wähler*inneninitiative Rosa Liste und der Jugendorganisation diversity, finden innerhalb einer 16-tägigen PrideWeek mehr als 100 Veranstaltungen (2023) statt. Höhepunkte sind die PolitParade mit zuletzt 400.000 Teilnehmer- und Zuschauer*innen (2022), das zweitägige Straßenfest rund um den Marienplatz und das Party-Event RathausClubbing.

Kontakt:
Conrad Breyer
Pressereferent
00491701859705
conrad@csdmuenchen.de

Zurück